Wusstest du, dass Minze oder Kamille gar keine Tees sind? Das echter Tee hervorragend zu Sushi und fast allen anderen Speisen passt? Oder dass es in Asien neben der aufwendigen Tee-Zeremonie den viel häufigeren „Grandpa Style” gibt (Teeblätter ins Glas, Wasser drauf, fertig)?
Dann geht’s dir wie uns. Wir haben uns auf eine Sushi-Box mit den „Tea Addicts” Jürgen Pitzschel und Stephan Suen in Hamburg getroffen und lange über Tee, Essen und das Leben gesprochen. Falls du dich wunderst, warum kein faktischer „Trink Tee X zu Sushi Y”-Befehl kommt: Genau darum geht’s. Um Ausprobieren und sich eine eigene Meinung bilden.
Damit fing auch dieses Interview an – neben unserer Sushi-Box steht ein Wasserglas mit heißem Wasser, in dem einzelne längliche Blätter langsam herunter sinken. Wir probieren und sagen:
Oh was ist das für ein Tee? Der ist hervorragend.
Jürgen: Das ist ein weißer Tee aus China. Das sind nur die Blattknospen – also der frische Trieb einer Teepflanze, kurz bevor es aufgeht und zum Blatt wird.
Ich hatte mit so einer chinesischen Tee-Zeremonie gerechnet. Und jetzt sagen Experten: Blätter, Wasser, trinken geht auch?
Jürgen: Ja, sonst ist die Hürde zu hoch. So steigt niemand ein. Stell dir vor, du hast noch nie Kaffee getrunken, jemand will dich dafür begeistern und der fängt dann an mit: „Du musst erst die richtige Siebträgermaschine kaufen, Stempel, Mühle, für den Mahlgrad musst du eigentlich studieren, dann den richtigen Anpressdruck, das richtige Geschirr und so weiter und sofort.” Wie hoch ist die Chance, dass du anfängst, Kaffee zu trinken? (lacht) Das Invest und das Wissen ist so kompliziert – wohingegen so ein Mokka bei dem du Kaffeepulver in heißes Wasser wirfst: Easy.
Ist das in Asien so einfach auch erlaubt?
Stephan: Absolut. Das heißt aus dem Chinesischen übersetzt „Grandpa Style”. Das Einfachste überhaupt ist eben ein Gefäß mit heißem Wasser.
Jürgen: Stephan macht das immer so, ich benutze schon gerne Kännchen, aber Stephan trinkt fast alle Tees auf diese Art.
Blätter rein, Wasser drauf?
Jürgen: Genau. Einfach abtrinken und wenn’s zu stark wird, gießt man halt neues Wasser drauf. Für viele ist nur Pfefferminz oder Kamille einfach. Da hängt man den Beutel rein, wenn ich krank bin und alles andere ist mir zu kompliziert – aber Tee ist nicht kompliziert.
Stephan: Wer es ausprobieren möchte, dem sage ich immer: Nimm ein Glaskännchen und versuch dich dem anzunähern, was dir gefällt. Manche lassen Dinge auf sich zukommen und probieren rum – andere fragen direkt „Was muss ich jetzt machen?” Ich sitz dann da und sage: „Du musst gar nichts.”
Wenn wir ganz ehrlich sind, ist Tee für die meisten ja Minze oder Kamille, wenn sie erkältet sind. Was würdet ihr gern über Tee erklären?
Jürgen: Es gibt schwarz, grün, weiß – eigentlich die ganze Farbpalette. Wulong wird auch als blauer Tee bezeichnet. Schwarzer Tee wird in China als roter Tee bezeichnet. Pu-Erh gilt da als schwarzer Tee. Das ist vielleicht zu nerdig, aber Kräuter und Früchte sind kein Tee, sondern ein Aufguss. Tee kommt nur von der Teepflanze. Von der gibt es zig verschiedene Züchtungen, wie bei Äpfeln. Aber ein Apfel ist eben immer ein Apfel und Tee ist immer eine Teepflanze.
Ist Tee eigentlich gesund?
Stephan: Wir geben nie Gesundheitsversprechen ab. Das ist auch nicht die Sache. Die Idee ist: „Trink Tee und wenn du Freude daran hast, wird es dir auch gut gehen”. Also es ist andersrum gedacht. Nicht „Was kann ich tun, damit es mir besser geht?” sondern mit Tee kommst du erst gar nicht an den Punkt, so zu denken.
Worauf achtet ihr bei gutem Tee?
Stephan (lächelt): Ich trenne nicht in gut oder schlecht. Es geht um Eignung in der Situation. Wenn ich auf eine Party mit hundert Gästen gehe und zwei Flaschen Wein mitbringe, die jeweils 50€ kosten – dann ist der Wein nicht schlecht – aber nicht geeignet. Zwei Kisten günstigerer Wein wären besser gewesen. Gut oder schlecht ist sehr analytisch, aber Eignung bezieht den Kontext ein.
Bei Tee bedeutet das, der Tee, den du hast, ist der beste Tee, den du in dieser Situation hast. Jeder Gedanke an einen Tee, der vielleicht besser sein könnte, macht deine Situation kaputt. Wenn du im Flugzeug deinen Teebeutel in die Plastiktasse hängst, ist der Tee rein analytisch gesehen Murks – aber wenn du ihn genießen willst, ist das ein guter Tee.
Das war nicht die Antwort, mit der wir gerechnet hatten.
Stephan: Ich will ja, dass mein Leben geil ist – und was hindert mich jetzt daran, dass ich das jetzt genießen kann? Die Verantwortung für meine Freude liegt ja immer bei mir.
Jürgen: Dem stimme ich eigentlich komplett zu. Mein Lieblingstee variiert je nach Wetter, Laune, Leuten. Außerdem verändert sich der Geschmack ständig und man lernt dazu. Einen Tee, den ich vor 10 Jahren toll fand, finde ich heute vielleicht langweilig. Umgekehrt hatten wir vor 10 Jahren einen Tee im Regal stehen, den ich damals nicht zu schätzen wusste und nicht verstanden habe. Daher verändert sich dieses “Was ist guter Tee” ständig und bei jedem individuell.